gestalterische Überlegungen

Intro

Warum Menschen mit Computern menschlich zu interagieren versuchen, wurde im bisherigen Konzept eingehend untersucht. Einige konkrete Beispiele wurden bereits genannt und viele mehr in psychologischen Versuchen überprüft. Aus vielen der Beobachtungen und daraus abgeleiteten Thesen lassen sich direkt Anforderungen an die Gestaltung formulieren. Mehr noch: Für den Benutzer hat das Geschehen unmittelbar auf dem Bildschirm die größte Relevanz. Die Gestaltung dieser Benutzeroberfläche hat also direkt und starken Einfluss auf das Verhältnis, das der Mensch vor der Maschine mit dieser eingehen wird.

Die entwickelte Website soll sowohl den unbedarften Laien als auch fachlich vorgebildete Interessenten, z.B. aus den Bereichen der Gestaltung, Psychologie und Medientheorie, den Zusammenhang von Gestaltung und Wahrnehmung des Rechners buchstäblich vor Augen führen. Der Computer als soziales Wesen ist gleichermaßen technischer Rahmen wie Inhalt der Seite. Als Anschauungsobjekt zielt sie auf die Auslösung bestimmter Reaktionsmuster ab und lässt auf spielerische Art den Betrachter einen Selbstversuch unternehmen.

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Am Anfang der Entwicklung der Website standen Überlegungen zum Interface-Design: Wie kann ich viel Information so darstellen, dass man gerne mit ihr umgeht?

Grundlagen

Eine gute Einbindung des Benutzers bietet die besten Vorraussetzungen, um emotionale Reaktionen zu erzeugen. Zwar ist auch eine vermeintlich neutrale Darstellung informierender Texte nicht ohne Affekt zu haben, da Emotionen ein wesentlicher Teil unserer Signalverarbeitung sind. Je mehr es aber zu tun, zu entdecken und auszuprobieren gibt, desto stärker wird man sich auf die Arbeit mit der Maschine konzentrieren und desto besser werden einen die Signale des Computers erreichen.

Bietet sich darüber hinaus die Möglichkeit, das digitale Material nach eigenen Vorstellungen zu verändern, so kann man sich selbst einbringen und wird sich in Folge noch stärker mit Ereignissen auf dem Bildschirm identifizieren.

Die Website selbst ist zunächst statisch und passiv und dient als Umgebung, in der sich die unterschiedlichsten Dinge befinden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Ergebnisse aus der Recherche (vor allem Bilder und Filme) und das theoretische Konzept zu dieser Arbeit. Schon aus Platzgründen sind alle Elemente verkleinert oder verpackt. Der Benutzer widmet sich nun seinem Interesse folgend den einzelnen Objekten.

Ihre ursprüngliche Anordnung sieht so aus, wie sie der letzte Besucher der Seite hinterlassen hat: Die Konstellation ist also grundsätzlich unvorhersehbar, obwohl sie nicht durch einen Zufallsalgorithmus generiert wurde. Menschen hinterlassen Spuren durch und in der Technik. Der aktuelle Betrachter kann dann jeweils die Postionen und Informationsmengen wieder frei festlegen.

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Die wesentlichen Elemente der Seite wurden zunächst in einem Layout-Programm angelegt, das in vielen Bereichen ähnlich strukturiert ist wie HTML/CSS.

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In der letzendlichen Anwendung lassen sich die Kapitel des Theorieteils und zusätzliches, unabhängiges Material finden. Was der Benutzer davon näher anschauen möchte, kann er völlig frei entscheiden.

Aktivitäten

Zwar macht die Seite so bereits Sinn, tatsächlich dient sei aber nur als Strohmann, über den Aufmerksamkeit, Identifikation und Mausklicks erzeugt werden. Eine Reihe von Aktionen wird nun durch Klicks an bestimmten Stellen, die Klickanzahl oder unabhängig vom Verhalten des Benutzers mit der Zeit ausgelöst. War der Computer zuvor lediglich Lieferant von Informationen, so entwickelt er nun ein gewisses Eigenleben.

Alle Aktivitäten des Benutzers werden protokolliert und füllen als fortlaufender Text mit der Zeit den Bildschirmhintergrund. Gleichermaßen werden beständig die Mauskoordinaten und die Zeit erfasst. Aus dem Computer wird damit eine Art nimmermüder Überwacher im Hintergrund.

Verschiedene Reaktionen, wie z.B. die Antworten in einem Fragebogen, werden laufend ausgewertet und als Ausgangspunkt für Rückschlüsse auf die Einstellung des Benutzers zum Computer verwendet. Scheint der Besucher wenig vom Auftreten des Rechners zu halten, wird sich dessen Stimmung schnell verschlechtern.

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Aufgrund des Protokolls lassen sich die wesentlichen Schritte des Benutzers auf der Seite nachvollziehen. Man kann daraus z.B. ersehen, ob vor allem Dinge herumgeschoben oder besonders viele Kapitel gelesen wurden.

Interventionen

Die wesentliche Absicht ist es, den Computer als sozialen Akteur zu etablieren. Eine der besten Möglichkeiten dazu bietet der Dialog, da Menschen (wie zuvor beschrieben) für gewöhnlich nur andere Menschen als Konversationspartner kennen und daher unterbewusst auch einem Computer etwas Menschliches unterstellen.

Je nach Dringlichkeit und gewünschtem Störfaktor kann der Computer über die Website Meldungen z.B. als Infobox am Rande oder als klassische Dialogbox ausgeben. In verschärfter Form lässt die Dialogbox keine anderen Eingaben mehr zu, bis der Benutzer reagiert hat.

Die Antworten und das Verhalten des Benutzers beeinflussen die Stimmung des Systems. Ein widerspenstig-kritischer oder unfreundlicher Besucher sammelt mit der Zeit so viele "Minuspunkte", dass der Computer immer unwilliger mit ihm zusammenarbeiten wird. Die Laune des Rechners beeinflusst daneben Inhalt und die Häufigkeit der Dialoge und ist auch über deren Hintergrundfarbe ablesbar.

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Mit einem solchen Dialog meldet das System Widerstand an. Der violette Hintergrund verweist darauf, dass der Benutzer sich bereits nicht ganz wohlfeil verhalten hat (und die Weigerung womöglich berechtigt ist?).

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Trotz der auf das Browserfenster beschränkten Umgebung stehen dem Computer verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, mit dem Benutzer Kontakt aufzunehmen. Dialogboxen sind eine Variante davon.

emotionale Merkmale

Die konsequente Verfolgung eines bestimmten Sprachstils und eines gewissen Auftretens gegenüber dem Benutzer über alle Dialoge hinweg etabliert eine Persönlichkeit für das System. Der Deutlichkeit wegen wird sie auf den beiden großen Achsen der Persönlichkeits-Klassifikation als unfreundlich und dominant positioniert. Die beiden Achsen dominant-zurückhaltend und freundlich-unfreundlich gelten als die hauptsächlichen und am besten unterscheidbaren Persönlichkeitsmerkmale. Vgl. Byron Reeves, Richard Nass: The Media Equation. Standford 1996, S. 77

Gerade für Dialoge gelten die Maximen der Höflichkeit von Paul Grice. Qualität/Wahrheit, Quantität, Kontext/Relevanz und Klarheit. Nach Byron Reeves, Richard Nass: The Media Equation. Standford 1996, S. 29 Verstöße dagegen werden Menschen zumindest als Nachlässigkeit, wahrscheinlicher aber unwillkürlich als Absicht werten. Neben der emotionalen Reaktion auf den Umgangston des Computers wird ihm also als Nebeneffekt zielgerichtetes Handeln unterstellt, ganz so, als hätte er eine Wahl gehabt. Tatsächlich verändert sich die Sprache der Dialoge in Abhängigkeit von der (ermittelten) Freundlichkeit des Benutzers, gleichwohl bleibt sie in Wirklichkeit (noch) an feste Algorithmen gebunden.

Lob und Tadel unterstützen diese Prozesse und stellen darüber hinaus eine eigene Klasse dar: Anerkennung wird weniger hinterfragt und bleibt auch in Erinnerung, wenn sie eigentlich unberechtigt erscheint. Kritik andererseits wird skeptischer betrachtet. Interessanterweise halten wir Beanstandungen aber auch für einen Hinweis auf die Kompetenz der Quelle (vielleicht weil diese keine Schmeicheleien nötig hat). vgl. Byron Reeves, Richard Nass: The Media Equation. Standford 1996, S. 55 und 67

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Natürlich weiß das System nicht wirklich etwas über die Absichten des Benutzers. Trotzdem reagieren wir auf solche Botschaften, weil wir sie aus anderen Zusammenhängen gewohnt sind.

Böse

Das System befindet sich auf Konfrontationskurs und erscheint wie ein leicht reizbarer, unwilliger Hausmeister. Der Benutzer ist in Anlehnung an die ersten Kapitel des Theorieteils ein Anhängsel der Maschine. Das System ist von seinen Fähigkeiten überzeugt, sein Verhalten erscheint bisweilen willkürlich, wird aber nicht weiter erklärt ("Datenbereinigung auf dem Server. Sektor 24 - 27. Systemleistung jetzt 22%"). Die Äußerungen des Systems behindern als Dialogboxen und Einblendungen in der Regel den Umgang mit den Texten und Bildern.

Der Mensch wird nicht um Kooperation gebeten, sondern Informationen werden von ihm schlicht abgefragt. Trotzdem entsprechen die Zusatzfenster nicht der üblichen schwer verständlichen Programmierterminologie, schon allein um keine Kopie der wohlbekannten heutigen Realität zu erstellen. Vielmehr erhält er über Fragebogen und Rückmelde-Möglichkeiten das Angebot zur Kommunikation. Die Dialoge sind zudem in einer sehr natürlichen und nicht in einer rational überformten Sprache gehalten, in der sich der Mensch viel besser zurechtfindet. Ein jeder Fragebogen löst daher eine Verdrehung des sich aufbauenden Rollenverständnisses aus und erhöht den Kontrast zur übrigen Programmumgebung.

Letztendlich wird sich der Benutzer von der Doppelköpfigkeit und Undurchsichtigkeit des Systems überfordert sehen. All den Vorteilen, die mehr Emotionen in der Maschine mit sich bringen, steht entgegen, dass das System konsequenterweise auch einmal schlechte Laune haben kann – und erst recht auf die eigene Unfreundlichkeit reagieren wird.

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Dieser Script-Abschnitt hat zentrale Bedeutung für das emotionale Bewusstsein der Maschine. Hier fließen viele gesammelte Daten zusammen und werden zu einer Stimmung verarbeitet.

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Das System verlangt Auskunft vom Benutzer und hier kann er seine Meinung kundtun. Freilich werden seine Antworten das System beeinflussen.

Technik

Die komplette Anwendung arbeitet auf Basis der Sprachen PHP, HTML/CSS und vor allem JavaScript. Damit kann jeder Interessierte über das Internet Versuchsteilnehmer werden und sich die Erfahrung auf den eigenen Rechner holen. Nebenbei entsteht dabei natürlich der Effekt, dass man dem Gesetz der Verfügbarkeit folgend jeweils den Rechner vor sich für den sozialen Akteur halten wird. Auch versiertere Menschen werden dieser automatischen und unterbewussten Reaktion nicht entkommen, wenngleich sie natürlich bei bewusster Überlegung wissen, dass ein Server irgendwo auf der Welt die Dateien ausliefert und folglich für die Inhalte verantwortlich ist. Als Alternative hätte sich Flash mit ActionScript angeboten, was Animationen und die Arbeit mit konkreten Elementen erleichtert hätte, auf der anderen Seite aber z.B. weniger flexibel mit Stilvorlagen für die vielen Texte umgehen kann.

Die Texte und Bilder werden aus einer mySql-Datenbank mit PHP ausgelesen und unter Berücksichtigung der Standards für "XHTML strict" vgl. XHTML 1.0 The Extensible HyperText Markup Language (Second Edition). In: W3C Technical Reports. web 2002. online am 17.02.06 zu einer Seite zusammengestellt. Damit sind die Daten für andere Webtechnologien (Suchmaschinen, Screenreader) und vor allem auch ohne JavaScript und CSS sehr gut zugänglich. Eine Ausnahme bildet die Definition von Transparenzen über CSS ("opacity"), die erst für CSS3 als Standard vorgesehen ist. vgl. CSS3 Color Module. In: W3C Technical Reports. World Wide Web Consortium. web 2003. online am 17.02.06

Das Verhalten des Benutzers wird mit JavaScript überwacht, das im Rahmen eines Webbrowsers recht umfangreiche Möglichkeiten zur Verfügung stellt. Dabei zeichnen eine Reihe von Variablen bestimmte Aktivitäten auf. Hierbei galt das "Document Object Model" vgl. Document Object Model (DOM) Level 3 Specification. In: W3C Document Object Model. World Wide Web Consortium. web 2004. online am 17.02.06 als Orientierung. Es soll nicht verschwiegen werden, dass gerade in diesem Bereich den Anforderungen des Microsoft Internet Explorer, die von diesen Standards abweichen, nicht entsprochen wird. Der zusätzliche Aufwand, die Anwendung praktisch mit zwei Skripten auszustatten, wäre erheblich. Man kann dies als ein Beispiel sehen, wie wir – gerade im Internet – bereits heute von Technologien außerhalb unseres Einflusses abhängig sind.

Die zahlreichen dynamischen Inhalte (z.B. Dialogfenster) werden aus JavaScript mit XMLHttpRequests angefordert, die in letzter Zeit vor allem unter dem Namen "Ajax" Michael Mahemoff: Ajax Patterns. 2005. online am 15.02.06 bekannt geworden sind. Der bisherige Mangel, in JavaScript nur mit einmalig gesendeten Daten arbeiten zu können, wird damit behoben. Ohne die komplette Seite neu laden zu müssen, lassen sich verschiedene Skripte auf dem Server ausführen, damit Datenbanken ansprechen und die Resultate im Browser anzeigen. In die andere Richtung werden Eingaben des Benutzers und von Zeit zu Zeit auch der "Stand der Dinge", also alle relevanten JavaScript-Variablen und Elementpositionen, per Ajax und PHP in der Datenbank abgelegt. Jeder Eintrag in der Datenbank entspricht einem Benutzer, dessen Verhalten und dessen Antworten in den Fragebogen nachgeschlagen werden können.

In der Perspektive ließe sich aus diesem Material vielleicht sogar eine Studie erstellen. Vor allem aber die Möglichkeit, die "Laune" des Systems aus dem Verhalten des Benutzers zu errechnen, ließe sich noch viel weiter ausbauen und für interessante interaktive Momente verwenden.

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Komplexere Vorgänge in den Skripten sind oft auf dem Papier entstanden. Natürlich nehmen menschliche Gedanken viel schneller die Gestalt einer Skizze an, als die einer maschinenlesbaren Abstraktion.

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Das Herzstück der Ajax-Technologie bildet der XMLHttpRequest. Mit ihm lassen sich Daten mit dem Server austauschen, ohne die Seite neu laden zu müssen.